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Wiederkehr (Return) (Berlin, June 2018)

Wiederkehr (Return) (Berlin, June 2018)

June 2018

Februar 1985, (West-) Berlin.

‘Der Junge soll was Ordentliches lernen’.

Mir war damals jeder (faule) Kompromiss mit meinem Vater recht, um meine polnische Freundin aus dem real existierenden Sozialismus und dem grauen und lebensverneinenden Warschau rauszuholen.

Dann eben eine Banklehre.  Aber wenn schon, dann wenigstens in (West-) Berlin.

Mein irischer Abitursfreund leihte mir Trenchcoat und schwarze Schule, mein italienischer einen Schlips, schon vorgeknöpft zum Überstreifen – eine Krawatte zu binden war damals noch nicht eine core competence.

Der Zug aus dem italienischen Trieste nach Berlin, über Österreich und ‚durch die Zone‘, brauchte 24 Stunden.  Kein Handy, kein Internet, keine Billigflieger, man hatte Zeit nachzudenken, sich mit der wachsenden Entfernung für die ungewohnte Aufgabe vorzubereiten, mit Mitreisenden zu sprechen, Angst abzulegen.

‚Wieso wollen Sie eine Banklehre machen?‘  -  ‚Weil es mein Vater so will, und weil es der Kompromiss ist, mit dem ich den Westweg meiner zukünftigen Frau ebnen kann?‘  Hmm.  Vielleicht noch mal üben.

An jeder Grenze die Grenzer.  ‚Die Papiere bitte.‘ Der Tonfall der Sachsen an der deutsch-deutschen Grenze besonders scharf, er bleibt im Gedächtnis, lange.  Schengen – damals noch kein Allerweltswort.  Bewegungsfreiheit – eine schöne Vokabel.  Der eiserne Vorhang von Winston hing noch, von Kaliningrad runter in das mir damals heimische Trieste; er war porös geworden, morsch vielleicht, aber durchlässig war er deshalb noch lange nicht, wie ich im Mai nach dem Abi herausfinden sollte, als die Schlange um die deutsche Botschaft in Warschau um drei Blöcke ging.

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Berlin war damals noch eine besetzte Stadt.  Es hatte am Ende des großen Krieges keinen Friedensvertrag mehr gegeben, der kalte Krieg kam zu schnell.  Deutschland aufgeteilt in zwei Zonen, die ehemalige Hauptstadt Berlin in vier Besatzungsabschnitte, die Franzosen, Engländer und Amerikaner poolten ihre zu West-Berlin zusammen.  Norden, Westen, Südwesten – aber keine Mitte; wo ein Stadtzentrum sein sollte war der Tierpark – eine komische Stadt, in vielerlei Hinsicht.

Der Zug rollt ein an Berlin Zoo, der wichtigste Bahnhof in West-Berlin.  Passt irgendwie zum Tiergarten – das zoologische Vokabular häuft sich – will einer da einem was bedeuten?  Hat Morgenthau sich doch gegen Marshall durchgesetzt mit seinem Plan für Nachkriegsdeutschland, friedfertige Landschaften? 

Vorher gab es noch Berlin-Spandau, danach kommen noch Berlin-Friedrichstrasse und Berlin-Ostbahnhof.  Auch hier sind die Namen historisch überfrachtet; in Spandau saß Albert Speer ein, sonst eben ein Vordorf.  Der alte Fritz kann in Berlin nie fehlen, und eigentlich müsste Berlin ja ein Ostkreuz sein, so nahe dran an Polen und dem Warschauer Pakt, keine 110km zur polnischen Grenze.  Aber alle gucken immer nur nach Westen, auch die späteren Wendehälse.

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Bahnhof Zoo, berühmt vor allem durch Christiane F. und ihre Geschichte über jugendlichen Heroinmissbrauch und Prostitution – man ist vorgewarnt über diese Stadt, die in einer Zwischenzeit versucht, über die Runden zu kommen, nicht unterzugehen, nach überstandener sowjetischer Blockade.  Siebzehn Milliarden Deutsch Mark kriegt West-Berlin jedes Jahr aus dem Bundeshaushalt, die vermeintliche Hauptstadt ist ökonomisch ein taumelnder Winzling, bautechnisch verfilzt (plus ca change, plus c’est la meme chose sagen sich die Schönefeldvielflieger heute), und abseits des Geschehens. 

Die Berliner kompensieren es mit verbaler Ruppigkeit, dem ihnen eigenen Humor, der sich dem Fremden nicht immer aufschließt, und einer gewissen Indifferenz; Kundera hätte die Leichtigkeit des Seins auch hier schreiben können, ist der Ruf erst ruiniert, lebt‘ s sich dann ganz ungeniert. 

Das Interview ging gut.  I got the job.

Im September 1985, trotz 1.0 Abi, fing ich bei der Sparkasse der Stadt Berlin (West) als Azubi an.  Unterricht in Scheckverkehr und Rechnungsprüfung am Oberstufenzentrum Banken und Versicherungen, in Moabit gleich neben dem Gefängnis, das Ganze in unmittelbarer Nähe zu einem grenznahen etwas verwahrlosten Industriegebiet.  Der nächstliegende U-Bahn Bahnhof hieß damals noch Invalidenstraße, heute steht dort der schöne neue Berliner Hauptbahnhof (funktioniert!). 

Die Banklehre war so unterwältigend, dass es ohne ein Abendstudium der Geschichte an der FU Berlin nicht auszuhalten gewesen wäre.  Das Hauptgebäude der FU Berlin hieß im Studentenmund ‚Rostlaube‘. Eine von den Amerikanern 1948 mitgegründete Gegenuni im freien Teil der Stadt. Fünzigtausend Studenten, da wollte man nicht als Streber oder gar Yuppie rüberkommen, deshalb im Eilschritt aus der U-Bahn Dahlem Dorf (sic) raus, Schlips abgestreift, zwei Knöpfe im Hemd auf, nur nicht als systemkonform auffallen.

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Unter den Linden ist eine etwas andere Adresse als die Louisenstraße in Zehlendorf, wo das Immatrikulationsbüro der FU jetzt residiert – dem dörflichen war in (West-) Berlin nicht zu entkommen.  Die Gedanken jedoch sind frei.

Nach ersten wohnlichen Zwischenstationen in Neukölln und Schöneberg ist die Bleibe (248 D-Mark Kaltmiete für 38 Quadratmeter) dann in Kreuzberg 36, dem bohemisch-studentischen Teil, und nicht in Kreuzberg 36, dem sozial (noch) schwierigeren und von schwarz-gekleideten Anarchos geliebtem Stadtteil weiter gen Osten. Berlin war damals noch eine Anreihung von städtischen Dörfern, jedes mit seiner Subkultur, und kein Ganzes darin zu erkennen, trotz alliierter Bemühungen, trotz der Friedensbewahrung durch eine Reihe Berliner Bürgermeister inklusive Willy Brandt, und natürlich von JFK.

Heute, 2018, ist Kreuzberg gentrifiziert, wie es so schön auf neudeutsch heißt, überlaufen von Touristen, Schwaben, Studenten (sofern sie es noch bezahlen können).

Die Mauer – sie war damals ein ‚given‘.  Niemand hätte gedacht, dass sie zu unseren Lebzeiten fallen würde.  Nicht ‚uncertainty‘ über das Wann, sondern ‚ignorance‘ über diesen potentiellen zukünftigen Stand der Welt – wie Professor Zeckhauser uns Alumni in seinem Referat Anno 2018 erläutert; ‚even the CIA did not get that one right!‘

Trotz der Berliner Schroffheit wurde in 2 (Voll-) + 4 (Teiljahren) Zugehörigkeit geschaffen, von der man zehren konnte in den nachfolgenden 27 Jahren der selbstgewählten Emigration (Lateinamerika, London, Rom, Boston, London, Warschau, Barcelona, Warschau).

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Juni 2018, Berlin.

Per Auto aus dem 550km entfernten Warschau, über die nagelneue, von der EU mitfinanzierten A2, die ‚Autobahn der Freiheit‘.  Schengen Magic.  Keine Grenzkontrollen, Grenzer, Angst, Unfreiheit, Herzklopfen.  Die Kinder wüssten nicht mal warum und wieso – Pass vergessen, kein Problem!

Die polnische Presse berichtet, dass der Exodus der polnischen Arbeitskräfte nach Westen weitergeht, aber mit einem twist:  sie ziehen nach Deutschland, weil es dort billiger ist, aber arbeiten weiter in Polen.  29 Jahre nach dem Zusammenbruch der Mauer und 14 Jahre nach der EU Osterweiterung ist der Traum vom vereinten Europa, geographisch und wirtschaftlich jedenfalls, in Erfüllung gegangen.  Nur die Mentalitäten, wie die Bundesministerin in ihrem Referat ausführt, die sind nicht so schnell mitgewachsen.  Die Bayern arbeiten daher schon mal an ihrer eigenen Grenzpolizei, das Rad wird zurückgedreht, zu viel Freiheit verträgt der Mensch dann wohl doch nicht!?

Nach mehr als einem Vierteljahrhundert im Ausland kommt man gerne zurück in diese neue alte deutsche Hauptstadt.  Sie ist wieder eine, Eins, geeint.  Man kann wieder eine U-Bahnstation Berlin Mitte anfahren, auf einer Linie, die im kalten Krieg zugeschüttet und geschlossen war, jetzt kommt man Nähe Humboldtuni raus.

Wilhelm von Humboldt sitzt immer noch nachdenklich vor dem Hauptgebäude, auch sein Bruder Alexander war ein unruhiger Patriot, der in die Fremde zog, um zu fragen und zu verstehen – das Denkmal bekam sein sesshafterer Bruder.  In Wurfweite hat Kaethe Kollwitz das Leiden in Stein gemeißelt, das den Weg hin zum getrennten Europa zeichnet – ihre Skulptur Mutter mit totem Sohn steht in der Schinkel‘ schen Neuen Wache direkt östlich an der Humboldtuni. 

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Innendrin prangt an den Haupttreppen nach wie vor ein Zitat von Karl Marx, ein Alumnus, man ist nicht mehr ideologisch eingegrenzt sondern weltoffen in dieser Weltstadt:  ‚Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.‘  Sounds like a plan.

Beim Immatrikulationsbüro hat die amerikanische Servicegesellschaft Einzug gehalten, numbered queuing system, alles sehr effizient und freundlich, die Mentalität unter den jungen Menschen ändert sich schneller.

Unter den Alumni der amerikanischen Eliteuni, die sich an diesem Wochenende zum alljährlichen Seminar treffen, herrscht eine unruhige Mischung aus Stolz und Ratlosigkeit, aus Aufbruchstimmung und Tatendrang, aber auch aus Besorgnis und Orientierungslosigkeit, angesichts der amerikanischen Verhältnisse, und der Zentrifugalkräfte in Europa, diesem geeinten Europa, ohne dass es ein wiedervereintes Deutschland mit dieser wieder zusammengewachsenen Hauptstadt nicht gäbe.

Wie geht es weiter mit der Pax Americana, viel beschworen in Vorträgen?  Ohne den großzügigen und lang-gedachten Marshallplan wäre Deutschland nicht zum Phoenix geworden, Restposten finanzieren noch immer Stipendien mit, 73 Jahre nach Kriegsende; heutiger Gegenwart circa USD 110 Milliarden. 

So strategisch denkt man in Deutschland nicht mehr, das haben wir uns historisch abgeschminkt, nicht zu Unrecht, aber die Zeiten haben sich geändert, auch wenn wir das nur ungern zur Kenntnis nehmen wollen.

Die schwarze Null schreibt das Europadenken vor, etwas krämerseelenhaft, ‚kleine Brötchen backen‘.  Die Delegation aus Frankreich, die ihr Macron Fieber nicht ganz verbergen kann oder will, stößt viele an, sucht Ansprechpartner.  Während wir Seminare zu Polarisierung und uncertainty hören, spricht der französische Finanzminister auf Deutsch in einem anderen Teil der Stadt, sagt, in not so many words, it’s now or never.  Und ein Photo von Merkel und ihren G7 Mitstreitern, gebeugt über den armverschränkten Donald Trump, wird am Wochenendausgang in die Geschichte eingehen, Ausdruck der Sprachlosigkeit und des Unverständnisses im transatlantischen Bündnis, die Partnerschaft aufgekündigt, alle Mann/Frau an Deck.

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Ungeheuren Mut machen die vielen, vielfach sehr jungen ehemaligen Stipendiaten, die in NGOs, Stiftungen, Start-ups, im Bundespräsidialamt, in verschiedenen Ministerien, im Auswärtigen Amt, sogar auf Staatssekretärsposten mitwirken an diesem neuen Kapitel.  Man hört kaum noch die Banker, Notare und Management Consultants der früheren Jahre, die Aufgaben haben sich geändert, und die Menschen sind mitgewachsen.  Aufbruchsstimmung macht sich breit. Every crisis is an opportunity.

In seiner Dankesrede erwähnt Jim C., der jahrzehntelang die deutschen Stipendiaten in Boston wie ein Ziehvater mitbegleitet hat, warum er Berlin liebt.  Viele Gründe, unter anderem wurde seine Tochter hier geboren.  Wie mein Vater, 1937, bevor er mit dem letzten Zug sowie seiner Mutter und Schwester 1945 floh.  Sein verlorener Sohn ist jetzt zurückgekehrt.  Vielleicht findet sich ja die eine oder andere spannende Aufgabe.  Seminarplätze an der Humboldtuni sowieso!

Auf der Autobahn nach Hause, kurz vor der polnischen Grenze, höre ich im Radio vom Fiasco der G7 in Toronto.  Die Pax Americana ist in Gefahr.  Amerika hat nicht mehr den Willen, so zu führen wie wir das seit über 70 Jahren kennen.  Deutschland muss mehr sein als ein Zahlmeister.  Und kann es nicht bei Worten allein belassen, der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert.

Es ist Zeit, wiederzukehren. 

Zeit, sich einzumischen.

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Back in Israel after 23 years (June 2018)

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Impressions from Rome (May 2018)

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